Rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen

Eine blaue Figur mit Punkten mit zwei Gedankenblasen. In der linken Blase ist ein Paragraphensymbnol abgebildet. In der rechten Gedankenblase steht das Wort: Queer

Alle Gesetze der Kinder- und Jugendhilfe sind im achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) zusammengefasst. Im Folgenden stellen wir die Paragraphen und rechtlichen Rahmenbedingungen heraus, die eine besondere Relevanz für die Begleitung und Unterstützung von  jungen queere Menschen haben.

Der Paragraf § 8a SGB VIII (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) ist in Bezug auf die Zielgruppe von besonderer Wichtigkeit.
Zur Verdeutlichung der besonderen Relevanz für das Kindeswohls junger lsbt*iq Menschen sei die mehrfach erhöhte Suizidrate bei lsbt*iq Kindern und Jugendlichen, im Vergleich zu anderen, gleichaltrigen jungen Menschen vorausgeschickt. Gründe dafür sind nicht nur die z.T. stattfindenden Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen in der Schule und im Freundeskreis nach einem Outing, sondern auch das Unverständnis, die offene Ablehnung, die Freiheitseinschränkungen und die z.T. gewaltvollen Übergriffe innerhalb der Familien. Darüber hinaus können mangelnde Unterstützung durch Sorgeberechtigte und das Hinauszögern wichtiger medizinischer und rechtlicher Schritte sehr schadhaft für das Wohlergehen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sein. Auch wenn die Rechtslage noch nicht eindeutig ist, so steht die Verweigerung der Zustimmung von Sorgeberechtigten zum Transitionsprozess Minderjähriger, immer wieder mit dem Tatbestand der Kindeswohlgefährdung in der Diskussion. Solche und ähnliche Konflikte sind oft ohne Intervention nicht lösbar. Der § 8a SGB VIII dient dafür als Leitfaden und rechtliche Grundlage. Daher setzen wir diesen den Rechtsgrundlagen der HzE voraus.

Ebenso erhalten die §§ 9 SGB VIII (Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von jungen Menschen)  und § 9a SGB VIII (Ombudsstellen) eine besondere Signifikanz für die gleichberechtigte Teilhabe junger Menschen - auch für die Gleichberechtigung der Geschlechter, von transidenten, nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen. Ombudschaftliche Beratung und Begleitung junger Menschen und deren Familien kann bei der Prüfung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen zur Inanspruchnahme von Leistungen in den Hilfen zur Erziehung eine unterstützende Hilfe bieten.

Unter diesem Link finden Sie weitere Informationen zum
Kinder- und Jugendstärkungsgesetz
(KJSG, in Kraft getreten am 10. 6. 2021).

Rechtliche Grundlagen für die Hilfen zur Erziehung
Die Hilfen zur Erziehung (HzE) sind gesetzlich in den §§ 27–40 des SGB VIII geregelt. Den genauen Wortlaut der jeweiligen § finden Sie hier.

Eine besondere Relevanz der Inanspruchnahme der Leistungen gem. § 35a SGBVIII ergibt sich für junge LSBT*IQ Menschen aufgrund des erhöhten Diskriminierungs- und Gewaltrisikos. So sind daraus resultierende psychische und seelische Beeinträchtigungen bei der Zielgruppe oftmals ebenso verstärkt wie Entwicklungsverzögerungen. Im Fall einer vorliegenden Transidentität ist eine Klassifizierung nach ICD10/11 grundsätzlich gegeben.

Die §§41, 41a SGB VIII sind zusätzlich relevant für junge Erwachsene mit Jugendhilfebedarf (Nachreifung).
Die Notwendigkeit der Inanspruchnahme der Hilfen gem. §§ 41, 41a SGBVIII ergibt sich im Einzelfall aus den besonderen Lebenslagen und den daraus resultierenden Entwicklungsherausforderungen und Nachreifungsbedarfen junger LSBTI*Q Menschen. Aus diesen Zusammenhängen ist ggf. eine längere Verweildauer der Zielgruppe in den Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung und die  Inanspruchnahme der Leistungen  nach §§ 41, 41a zu rechtfertigen. Für Fachkräfte in den Hilfen zur Erziehung gilt es daher, diesbezügliche Ansprüche in Absprache mit den jungen Menschen umzusetzen und ggf. hierüber auch ombudschaftliche Beratung (§ 9a SGB VIII) hinzuzuziehen.

Für die spezialisierte Rechtsberatung zum TSG (Transsexuellengesetz) und PStG (Personenstandsgesetz) empfehlen wir die Webseiten des LSVD und der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität.
Weitere Informationen zum Personenstandsgesetz finden Sie hier.

Argumentationshilfen und Informationen

Begründungszusammenhängen von Transition und Verweildauer in der Kinder- und Jugendhilfe, Bekleidungungserstausstattung, Ersatzkleidung mit Musterantrag, Kleidung für besondere Anlässe können Sie hier abrufen.

Begründungszusammenhänge von Transition und Verweildauer in der Kinder- und Jugendhilfe

Der Grad der psychischen, sozialen oder persönlichen Entwicklung kann nicht mit einem Alter beziffert werden. Das Alter sagt nichts über den generellen Reifegrad oder die Bedürftigkeit einer Unterstützung eines Menschen aus. Das durchschnittliche Auszugsalter junger Menschen aus ihrem Elternhaus, in dem sie relativ sorgenfrei und gut behütet aufwachsen, liegt laut der Veröffentlichung von Eurostat 2019 (Erhebungszeitraum 2018) bei 23,7 Jahren.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur unlogisch, sondern entspricht auch nicht dem ersten Artikel,  §1 SGB VIII , wenn junge Menschen, die aufgrund ihrer teils hochgradig traumatisierenden Erlebnisse einen Teil ihrer Jugend oder Kindheit und ihrer natürlichen Entwicklung eingebüßt haben, schon mit dem 18. Geburtstag aus der Jugendhilfe entlassen werden sollen? 

Warum wird erwartet, dass sie, die sie mit zusätzlichen Belastungen zu kämpfen haben, fast 6 Jahre schneller reifen? Die jungen Menschen sind nicht ohne Grund in der Jugendhilfe. Sie sollten mindestens genauso lange brauchen dürfen, um sich zu entwickeln und an den Punkt zu kommen, auszuziehen und auf eigenen Füßen zu stehen, wie die Jugendlichen, die in ihren Familienheranwachsen und dazu erst mit ca. 24 Jahren bereit sind.

Die logische Schlussfolgerung würde dann bedeuten, dass die Probleme, Erfahrungen und Entwicklungsverzögerungen, die es zusätzlich zu bearbeiten und aufzuholen gilt – und die meist einen deutlichen Jugendhilfe- und/oder Nachreifungsbedarf darstellen, dazu führen sollten, die Jugendhilfegrenze entsprechend über das 24. Lebensjahr zu erhöhen. 

Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht enden nicht mit der Volljährigkeit, vielmehr gilt das Jugendhilferecht grundsätzlich bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres (§7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB VIII).

In Bezug auf lsbt*iq Jugendliche ergeben sich Entwicklungsverzögerungen oder Bedarfe durch die bereits beschriebenen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Wenn nun noch, unabhängig von der sexuellen Orientierung, die geschlechtliche Identität vom biologischen oder bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abweicht, wie es bei trans*-Personen der Fall ist und bei inter*-Personen sein kann, ist eine Entwicklungsverzögerung schon aufgrund einer multiplen, aber zumindest doppelten Pubertät gegeben. 

Eine Hormontherapie bewirkt drastische Veränderungen. Nicht nur die Gefühlswelt der jungen Menschen wird auf den Kopf gestellt, sie müssen erneut mit körperlichen Veränderungen kämpfen, da sie eine zweite Pubertät durchleben. Auch wenn diese Veränderungen gewollt sind, so müssen die jungen Menschen sich selbst neu kennenlernen, mit ihrem Spiegelbild neu vertraut werden. Abgesehen von der Selbstwahrnehmung, werden sie nun auch von ihrer Umwelt anders wahrgenommen. Sie müssen sich bewusst werden, wie sie auf andere wirken wollen und welche Reaktionen das hervorruft. Sie müssen auch ihre Frauen- und Männerbilder überprüfen, Geschlechterrollen infrage stellen und entsprechend ihr Auftreten neu erproben, um sich gesellschaftlich platzieren zu können. 

Daher ist es nicht nur fair sondern auch im Sinne des Gesetzes, dass diese jungen Menschen ausreichend Zeit bekommen, ihre Entwicklungsverzögerungen auszugleichen, um die Jugendphase abzuschließen und Zukunftsperspektiven entwickeln zu können.

Stephan Maria Pröpper Forum Erziehungshilfen Heft 5 2019, Stephan Maria Pröpper UJ 7+8 2020.

Rechtliche Grundlage Bekleidungserstausstattung 

In Berlin kann, laut Anlage  F  (Nebenkostenkatalog) zum Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJug), eine Bekleidungserstausstattung beantragt werden.

Das gilt auch für alle jungen Menschen, die aus anderen Bundesländern in Berlin untergebracht sind, da immer die AV des unterbringenden Bundeslandes gilt.
Dafür gelten folgende Voraussetzungen:

Formblatt B3

Abbildung des Formblatts B3

Rechtliche Grundlage Bekleidungsersatz

In Berlin kann, laut Anlage  F  (Nebenkostenkatalog) zum Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJug), Bekleidungsersatz beantragt werden.

Das gilt auch für alle jungen Menschen, die aus anderen Bundesländern in Berlin untergebracht sind, da immer die AV des unterbringenden Bundeslandes gilt.

Dafür gelten folgende Voraussetzungen:
Formblatt B1
Bekleidungsersatz-Pauschale

Für den erforderlichen Ersatz der Bekleidung, d.h. von nicht mehr tragbaren Bekleidungsausstattungsstücken (siehe Rundschreiben. Nr. 4/1996 vom 27.12.1996 Seite 2 Mitte); gilt nicht für Bekleidungs-Erstausstattung. Berufsbekleidung ist in der Regel von den Jugendlichen selbst zu finanzieren. In Ausnahmefällen ist der individuelle Anspruch zu prüfen.

2. SGB VIII-Rechtsgrundlage und dazu erlassene Verwaltungsvorschriften / zu beachtende Rundschreiben bzw. Schreiben: § 39 Abs. 1 SGB VIII und Rundschreiben Nr. 4/1996 vom 27.12.1996
(SenSchulJugSport - V F 14 -)

3. Leistungsgrundlage(n) im SGB VIII:
a) Soweit nicht grundsätzlich die AV-Jugendhilfeunterhalt gilt
§§ 13 Abs. 3, 21, 34, 35, 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII (siehe Rundschreiben Nr. 4/1996 Seite 2 „Erläuterung“ Seite 1) sowie § 41 SGB VIII in Ausgestaltung der Hilfe nach § 34, 35, 35a
Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII
Für die nach § 42 SGB VIII untergebrachten jungen Menschen kann nach Prüfung desJugendamtes im Einzelfall die Bekleidungsersatz-Pauschale für die Altersstufe I (siehe ATeil) und die Altersstufe II gezahlt werden.
b) § 19 SGB VIII soweit nicht die AV-Jugendhilfeunterhalt giltBei vorheriger Zahlung einer Erstausstattung für Bekleidung besteht der Anspruch aufdie Sommer-/Winterpauschale erst nach 6 Monaten.

Hinweis: Bis zur endgültigen Regelung der Höhe der Bekleidungsersatz-Pauschale fürdie nach § 19 SGB VIII in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebrachtenjungen Mütter/Väter und deren Kinder gelten die bisher gezahlten Sommer-/Winterpauschalen auf der Grundlage des § 19 Abs. 3 SGB VIII weiter.

4. Altersgruppen:
Altersstufe II: vom Beginn des 16. Lebensjahres an (ab 15 Jahre)

Hinweis: Die Pauschale für die Altersstufe II ist grundsätzlich ein „individueller“ Anspruchsbetrag des untergebrachten jungen Menschen, aus dem dieser den Bekleidungsbedarf finanziert (siehe Rundschreiben Nr. 4/1996 Seite 3, 1. Absatz).

5. Es handelt sich um: eine Individualleistung X , künftig weiterhin auf Antrag X neben dem Entgelt gewährt.

6. zu gewährende/r Betrag/Beträge:

zu 3a) Altersgruppe II
„vom Beginn des 16. Lebensjahres an“ (ab 15 Jahren)
jährlich 466,30 €, monatlich 38,86 €, täglich 1,28 €

zu 3b) ab 7 Monate 276,00 €
davon Sommerpauschale (für April bis September) 110,40 €, 
Winterpauschale (für Oktober bis März) 165,60 €

14 bis 17 Jahren 303,00 €
davon Sommerpauschale 121,20 € 
Winterpauschale 181,80 €

Ab 18 Jahre 276,00 €
davon Sommerpauschale 110,40 € 
Winterpauschale 165,60 € 

Muster eines Antragsschreibens

Adressant:

Adressat:



Berlin, den 01.01.2021

Antrag auf Bekleidungsgeld

Hallo (Zuständige Fachkraft des Jugendamtes, bei der der Antrag gestellt wird)

und bitte Sie daher um Unterstützung …..

Folgende Dinge werden benötigt:

Über eine zeitnahe Rückmeldung  würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtliche Grundlage Bekleidung besonderer Anlass

In Berlin können, laut Anlage  F  (Nebenkostenkatalog) zum Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJug), Gelder für Bekleidung für besondere Anlässe beantragt werden.
Das gilt auch für alle jungen Menschen, die aus anderen Bundesländern in Berlin untergebracht sind, da immer die AV des unterbringenden Bundeslandes gilt.
Dafür gelten folgende Voraussetzungen:
Formblatt B2


1. Nebenkostenart (Kurzbezeichnung/Ziel): Pauschale für besondere Anlässe
Für Extra-Bekleidung und anderes zur Taufe, Einschulung, Jugendfeier/Jugendweihe,Kommunion oder Konfirmation (oder ähnliches) - z. B. gefüllte Zuckertüte, Teilnahmegebührfür Jugendweihe.

2. SGB VIII-Rechtsgrundlage und dazu erlassene Verwaltungsvorschriften / zu beachtende Rundschreiben bzw. Schreiben:§ 39 Abs. 3 SGB VIII, Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Diensteder Kinder- und Jugendhilfe in der jeweils gültigen Fassung, Rundschreiben Nr. 4/1996 vom27.12.1996 (siehe Seite 2 oben und letzter Absatz auf Seite 3)

3. Leistungsgrundlage(n) im SGB VIII:Soweit nicht grundsätzlich die AV-Jugendhilfeunterhalt gilt§§ 34, 35 a Abs. 2 Nr. 4 - nur bei langfristiger Unterbringung -§ 19 SGB VIII soweit nicht die AV-Jugendhilfeunterhalt gilt.

4. Altersgruppen:ab Schulpflicht bis zum vollendeten 16. Lebensjahr

5. Es handelt sich um: eine Individualleistung X , künftig weiterhin auf Antrag X neben dem Entgelt gewährt

6. zu gewährende/r Betrag/Beträge: einmaliger Betrag in Höhe von 222,41 €
In analoger Anwendung, als einmalige sonstige persönliche Ausstattung im Sinne vonFormblatt A3 bei Hilfen nach § 13 Abs. 3, 19, 42 SGB VIII wenn das Jugendamt dies fürerforderlich hält. jährlich 13,- €

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