Ausgangslage

  • Die fachlichen Kompetenzprofile der einzelnen Mitarbeiter*innen im Jugendamt sind nicht für alle bekannt und zugänglich. Häufig besteht Handlungsunsicherheit innerhalb des Jugendamtes, welche unterstützenden Fachkräfte konkret anzusprechen sind. Zum Teil werden Fachkräfte automatisch hinzugezogen, allein aufgrund eines bestimmten Diversitätsmerkmals, unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation.
  • Fallbesprechungen zur Entscheidung über eine Hilfeform haben eine eigene Dynamik. Queer-inklusive Hilfen werden zum Teil nicht bewilligt, da vermeintlich Sach- und Verwaltungslogiken dagegensprechen. Die Beratungen finden unter Zeitmangel statt, es herrschen unterschiedliche Einschätzungen durch die Teilnehmenden und es wird versucht, wie gewohnt auf bislang bewährte Instrumente zuzugreifen. Dabei werden die Bedarfe queerer junger Menschen nicht genügend berücksichtigt. In den RSD/ASD-Teams fehlt zum Teil das fachliche Verständnis für besondere Bedarfslagen von jungen Menschen.

Ziele, Effekte, Wirkungen

Durch eine diskriminierungssensible Professionalisierung der Fachkräfte im ASD/RSD können die Hilfen besser auf die individuellen Bedürfnisse der Klient*innen abgestimmt werden. Dadurch können sogenannte Drehtüreffekte in der Jugendhilfe vermieden werden. Das sind Situationen, in denen Hilfen nicht nachhaltig wirken, sodass Kinder, Jugendliche oder Familien wiederholt in das Hilfesystem eintreten müssen, weil vorherige Maßnahmen nicht ausreichend oder nicht passend waren. Das Jugendamt wird von diversen jungen Menschen, ihren Angehörigen und dem sozialen Umfeld als unterstützende Institution wahrgenommen, in der Diversitätskompetenz vorausgesetzt werden kann und das Kompetenzprofil der einzelnen Mitarbeitenden öffentlich einsehbar ist. Alle Fachkräfte in der Hilfeplanung haben Kenntnis von der Perspektive und den Bedarfen der jungen Menschen und diese werden im weiteren Hilfeverlauf berücksichtigt. Das Jugendamt garantiert eine bedarfsgerechte Versorgung innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe und setzt sich aktiv für eine Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung ein.

Leistung, Aufgaben, Angebot

  • Übersicht zu den Kompetenzprofilen der Mitarbeitenden im Jugendamt erstellen
  • Diversityschulungen mit Fokus Diskriminierungssensibilität für alle Mitarbeitenden im Jugendamt garantieren (unter anderem im Rahmen der Einarbeitung / Neu im RSD)
  • dokumentierte Perspektiv- und Bedarfsabklärung mit dem jungen Menschen vor der ersten Fallbesprechung
  • Argumentationslinien im RSD/ASD erarbeiten
Praxisbeispiel
Hannes ist 17 Jahre alt, lebt seit seinem 5. Lebensjahr in einer Pflegefamilie. Er wuchs dort in einem christlichen Milieu auf, seine Pflegeeltern nahmen ihn zu radikal-christlichen Veranstaltungen mit, auf denen ein homofeindliches Weltbild vertreten wurde. Hannes wird von seinem Pflegevater als „weinerlich“ bezeichnet, da er aufgrund seiner diskriminierenden Erfahrungen in Bezug auf seine schwule sexuelle Identität öfter an depressiven Verstimmungen leidet und sich zurückzieht. Auch in der Schule erfährt er wiederholt Ausgrenzung durch einzelne Mitschüler*innen, was dazu führt, dass er ab und an die Schule schwänzt. Seine Pflegeeltern unterstützen ihn nicht in seiner Identitätsfindung als schwuler junger Mann, und er erhält wenig emotionale Unterstützung oder Beratung bezüglich seiner (gesellschaftlichen) Diskriminierungserfahrungen. In den Gesprächen im Jugendamt oder im Pflegekinderdienst ist die sexuelle Identität von Hannes kein Thema, sondern hier fokussiert sich der Blick des Hilfesystems auf seine Schulfehlzeiten, die zu Konflikten mit den Pflegeeltern im Alltag führen.

Herausforderungen

  • Gesellschaftliche Haltungen und damit auch die Haltungen der Fachkräfte im Jugendamt sind meist heteronormativ ausgerichtet. Kenntnis über queere Identitäten und Lebensentwürfe finden darin wenig Raum und werden selten aktiv gestärkt.
  • Einige junge queere Menschen in Pflegefamilien fühlen sich in dieser familiären Hilfeform nicht verstanden und dazugehörig und dementsprechend isoliert. Aus diesem Grund sind sie umso mehr auf queersensible Fachkräfte im Pflegekinderdienst und bei den Jugendämtern angewiesen.

Empfehlungen

  • Ausgerichtet am Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sollte von den fallzuständigen Fachkräften im Rahmen eines individuellen Schutzkonzeptes während des gesamten Hilfeverlaufs zu Kinderrechten, § 9 SGB VIII inkl. Diskriminierungsschutz, und zu den unabhängigen Ombuds- und Beratungsstellen informiert und beraten werden.
  • Auch bei den Entwicklungsberichten, die in der Pflegefamilie geschrieben und an das Jugendamt oder den Pflegekinderdienst gesendet werden, sind die jungen Menschen aktiv zu beteiligen.
  • In den regelmäßigen Hilfeplangesprächen beziehungsweise den Gesprächen im Pflegekinderdienst ist geraten, vorab Zeit und Raum für ein einzelnes Gespräch mit dem jungen Menschen einzuplanen.
  • Die Fachkräfte im Pflegekinderdienst sowie aus der Vormundschaft müssen diskriminierungs- und queersensibel geschult sein und Kinderrechte in einer altersgerechten Sprache vermitteln können.